Unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr

Der Bezug von (laufender) Kraftfahrzeughilfe berechtigt einen Schwerbehinderten nicht zum kostenlosen Bezug einer Wertmarke zur Beförderung im ÖPNV. Zwar erhält der Bezieher einer Kraftfahrzeughilfe eine laufende Leistung nach § 27d BVG. Diese ist jedoch nicht im Sinne des § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX für den (notwendigen) Lebensunterhalt bestimmt, sondern wird nach § 27d Abs 1 Nr 3 BVG i.V.m. § 28 Abs 1 Nr 2 KFürsV – einkommens- und vermögensunabhängig – als Eingliederungshilfe für behinderte Menschen gewährt.

Rechtsgrundlage für den Anspruch eines Schwerbehinderten auf Ausgabe einer Wertmarke zur Beförderung im öffentlichen Personenverkehr ohne Entrichtung des gesetzlich vorgesehenen Eigenanteils von 60 € ist insoweit § 145 Abs 1 SGB IX.

Nach § 145 ABs. 1 SGB IX werden schwerbehinderte Menschen, die infolge ihrer Behinderung in ihrer Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt oder hilflos oder gehörlos sind, von Unternehmern, die öffentlichen Personenverkehr betreiben, gegen Vorzeigen eines entsprechend gekennzeichneten Ausweises nach § 69 Abs. 5 im Nahverkehr im Sinne des § 147 Abs. 1 unentgeltlich befördert; die unentgeltliche Beförderung verpflichtet zur Zahlung eines tarifmäßigen Zuschlages bei der Benutzung zuschlagpflichtiger Züge des Nahverkehrs. Voraussetzung ist, dass der Ausweis mit einer gültigen Wertmarke versehen ist. Sie wird gegen Entrichtung eines Betrages von 60 € für ein Jahr oder 30 € für ein halbes Jahr ausgegeben. Wird sie vor Ablauf der Gültigkeitsdauer zurückgegeben, wird auf Antrag für jeden vollen Kalendermonat ihrer Gültigkeit nach Rückgabe ein Betrag von 5 € erstattet, sofern der zu erstattende Betrag 15 € nicht unterschreitet; Entsprechendes gilt für jeden vollen Kalendermonat nach dem Tod des schwerbehinderten Menschen. Auf Antrag wird eine für ein Jahr gültige Wertmarke, ohne dass der Eigenanteil zu entrichten ist, u.a. an schwerbehinderte Menschen ausgegeben,

  1. die blind im Sinne des § 72 Abs. 5 SGB XII oder entsprechender Vorschriften oder hilflos im Sinne des § 33b EStG oder entsprechender Vorschriften sind oder
  2. die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II oder für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII, dem SGB VIII oder den §§ 27a und 27d BVG erhalten.

Um eine solche Leistung für den Lebensunterhalt, die zur Befreiung von der Zuzahlung der 60 € berechtigt, zählt nicht die Gewährung einer Kraftfahrzeughilfe nach § 27d Abs 1 Nr 3 BVG iVm § 28 Abs 1 Nr 2 KFürsV, auch zwar nicht, wenn sie laufend gezahlt wird.

Zunächst bezieht sich die Formulierung „für den Lebensunterhalt“ in § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX nicht nur auf die dort aufgeführten Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII sowie nach dem SGB VIII, sondern auch auf Leistungen nach den §§ 27a und 27d BVG. Anders lässt sich der Wortlaut der Norm grammatikalisch nicht deuten. Es muss sich demnach auch bei den Leistungen nach §§ 27a und 27d BVG um solche zum Lebensunterhalt handeln1.

An sich könnte der Begriff „Lebensunterhalt“ so weit verstanden werden, dass er auch die Unterhaltung eines Kraftfahrzeugs umfasst2; im vorliegenden Zusammenhang verbietet sich jedoch nach Auffassung des Senats eine solche Auslegung.

Für ein enges Verständnis des Begriffes „Lebensunterhalt“ spricht bereits die Gesetzesentwicklung.

§ 145 SGB IX wurde durch Art 1 des SGB IX – Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen – vom 19.06.20013 mit Wirkung ab 1.07.2001 eingeführt. Nach der Begründung zum Entwurf des SGB IX handelt es sich um eine inhaltsgleiche Übernahme des bis dahin gültigen Rechts4. Die zuvor maßgebliche Regelung befand sich zunächst in § 57 SchwbG idF durch das Gesetz über die unentgeltliche Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr vom 09.07.19795 und nach der Bekanntmachung der Neufassung des SchwbG vom 26.08.19866 ab 1.08.1986 in § 59 SchwbG.

Ziel der Vergünstigung war und ist es, die Teilhabe schwerbehinderter Menschen am öffentlichen Personenverkehr durch erleichterten Zugang zu öffentlichen Transportmitteln zu fördern, da Mobilität als Grundbedürfnis der modernen Gesellschaft anerkannt wird7. Diese Kompensationsfunktion wird bereits an den Anspruchsvoraussetzungen deutlich, wonach eine behinderungsbedingte erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr vorliegen muss.

Im Rahmen des Haushaltsbegleitgesetzes 19848 wurde aus Einsparungsgründen9 erstmals eine Eigenbeteiligung in Höhe von 120 DM jährlich für die Ausgabe der zur Beförderung berechtigenden Wertmarke eingeführt. Die gleichzeitige Regelung von Ausnahmen für Berechtigte, die die Wertmarke nach wie vor ohne Leistung dieser Eigenbeteiligung erhalten sollten, diente dem Zweck, „die Belange typischer Gruppen einkommensschwacher Freifahrtberechtigter“ zu berücksichtigen, „ohne daß die Versorgungsämter die Höhe des Einkommens im Einzelnen prüfen müssen“10.

Bald danach erkannte der Gesetzgeber, dass durch diese Regelungen des Haushaltsbegleitgesetzes 1984 Härten aufgetreten waren11, die durch das Gesetz zur Erweiterung der unentgeltlichen Beförderung Schwerbehinderter im öffentlichen Personenverkehr vom 18.07.198512 beseitigt werden sollten. Es wurde der damalige § 57 Abs 1 S 4 Nr 2 SchwbG, der Vorgängervorschrift zur Ausnahmeregelung des § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX, neu gefasst und dabei auch Behinderte mit aufgenommen, die „für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach (…) den §§ 27a und 27d des Bundesversorgungsgesetzes erhalten“13.

Damit ergibt sich bereits aus der Gesetzeshistorie, dass die Ausgabe einer kostenfreien Wertmarke eine Ausnahme von der Regel einer Freifahrtberechtigung unter Zahlung einer Eigenbeteiligung darstellt14. Nur einem begrenzten Personenkreis sollte nach der Einführung der Eigenbeteiligung das Privileg unentgeltlicher Beförderung ohne Eigenbeteiligung zugutekommen. Alle übrigen Freifahrtberechtigten sollten sich an den Kosten der Vergünstigung beteiligen15. Insoweit ist die Befreiungsvorschrift grundsätzlich eng auszulegen16.

Ferner lässt sich aus der durch den Wortlaut geprägten inneren Systematik des § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX schließen, dass der Begriff „Lebensunterhalt“ einheitlich zu verstehen ist, unabhängig davon, ob Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des SGB XII, des SGB VIII oder den §§ 27a, 27d BVG angesprochen werden. Entsprechendes gilt für die an erster Stelle aufgeführten Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Wenn sich die den Lebensunterhalt betreffenden Leistungen nach dem SGB II, SGB VIII und SGB XII grundsätzlich an dem menschenwürdigen Existenzminimum orientieren (vgl dazu § 1 Abs 1, § 20 SGB II, § 39 SGB VIII, § 1, §§ 27 ff SGB XII), hat dies auch für diejenigen Leistungen nach §§ 27a und 27d BVG zu gelten, die gemäß § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX zu einer Befreiung von der Entrichtung des Eigenanteils führen. Einem so verstandenen notwendigen Lebensunterhalt dienen Leistungen zur Unterhaltung eines Kraftfahrzeugs grundsätzlich nicht17.

Entgegen der Ansicht des Klägers läuft die Bezugnahme auf § 27d BVG in § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX bei einem solchen Verständnis des Begriffs „Lebensunterhalt“ nicht leer.

Während § 27a BVG selbst ergänzende Hilfen zum Lebensunterhalt regelt und damit die Befreiung von der Leistung eines Eigenanteils bereits dann eintreten lässt, wenn die entsprechende Hilfeleistung für den Lebensunterhalt laufend gewährt wird, stellt ein laufender Leistungsbezug nach § 27d BVG nicht automatisch eine „Hilfe für den Lebensunterhalt“ in diesem Sinne dar. Vielmehr betrifft § 27d BVG ausdrücklich „Hilfen in besonderen Lebenslagen“, die darüber hinaus auch teilweise einkommens- und vermögensunabhängig geleistet werden. Je nach konkreter Hilfe in besonderen Lebenslagen ist zu unterscheiden, ob diese Leistungen gerade (auch) die Sicherung des Lebensunterhalts bezwecken oder der Abdeckung einer sich vom allgemeinen Lebensunterhalt abzugrenzenden speziellen Bedarfslage dienen.

Schon gemäß § 27d Abs 1 Nr 1 BVG iVm § 28a KFürsV18 können Hilfen zum Aufbau oder zur Sicherung der Lebensgrundlage erbracht werden, wenn den Leistungsberechtigten sonst voraussichtlich ergänzende Hilfen zum Lebensunterhalt erbracht werden müssten. Diese Leistung soll gerade nicht nur in einer bestehenden Notlage Abhilfe schaffen, sondern dazu beitragen, nach Möglichkeit bereits vorbeugend, das Entstehen einer (Lebensunterhalts-)Notlage zu verhindern19. Diese konkrete Hilfe in besonderen Lebenslagen knüpft folglich unmittelbar an das Fehlen einer ausreichenden wirtschaftlichen Lebensgrundlage des Betroffenen an und bezweckt, dem Berechtigten den Aufbau oder die Sicherung einer Lebensgrundlage durch eigene Tätigkeit zu erhalten (vgl § 28a Abs 1 KFürsV), um einen ergänzenden Bezug von Hilfen zum Lebensunterhalt zu vermeiden. Denn gemäß § 28a Abs 2 KFürsV sollen diese Leistungen in der Regel nur erbracht werden, wenn die Leistungsberechtigten sonst ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt erhalten müssten.

Auch im Rahmen der nach § 27d Abs 1 Nr 3 BVG zu erbringenden Eingliederungsleistungen gibt es solche, in denen Hilfen für den Lebensunterhalt enthalten sind. Dies kann insbesondere bei stationären Eingliederungshilfen, wie zB bei Leistungen in einer stationären Einrichtung der Behindertenhilfe, der Fall sein, die neben dem Bedarf für die Wohnform behinderter Menschen auch den Bedarf für die Unterbringung berücksichtigen; dazu gehört auch eine Grundpauschale für Unterkunft und Verpflegung20.

Zum Sinn und Zweck der Vorgängerregelung des § 59 Abs 1 S 5 Nr 2 SchwbG hat das BSG bereits ausgeführt, dass die Privilegierung der Bezieher von Leistungen für den Lebensunterhalt ihre Begründung darin findet, dass bei diesen Personen bereits festgestellt wurde, dass der notwendige Lebensunterhalt ohne fremde Hilfe nicht gedeckt werden kann und eine Selbstbeteiligung dieser Personen an den Kosten für die Wertmarke im Ergebnis die sozialen Ausgleichssysteme belasten würde21.

Entsprechend dieser Zielsetzung hat das Bundessozialgericht § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX innerhalb der Wortlautgrenze dahin ausgelegt, dass der Begriff „für den Lebensunterhalt laufende Leistungen nach dem Dritten und Vierten Kapitel des Zwölften Buches“ nicht nur Leistungen umfasst, die ihren Rechtsgrund allein im SGB XII haben, sondern auch Leistungen, die in entsprechender Anwendung des Dritten und Vierten Kapitels des SGB XII an Personen erbracht werden, die Sozialhilfeempfängern im Wesentlichen gleichstehen22. Denn aus den Gesetzesmaterialien zu den jeweiligen Änderungen der Befreiungstatbestände für einkommensschwache schwerbehinderte Menschen bei der unentgeltlichen Beförderung im Personenverkehr ergibt sich kein Anhaltspunkt dafür, dass der Gesetzgeber sein ursprüngliches Anliegen, „alle Personen zu erfassen, die zur Deckung ihres notwendigen Lebensunterhaltes Leistungen der öffentlichen Fürsorge erhalten“23, aufgegeben haben könnte24.

Etwas anderes gilt auch nicht für Leistungen nach §§ 27a und 27d BVG. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass der Gesetzgeber die Empfänger von Leistungen der Kriegsopferfürsorge unabhängig von dem Bezug laufender Leistungen zum Lebensunterhalt begünstigen und damit besserstellen wollte als Bezieher lebensunterhaltssichernder Leistungen nach dem SGB II, SGB VIII oder SGB XII.

Der Schwerbehinderte erhält die Kraftfahrzeughilfe nach § 27d Abs 1 Nr 3 BVG iVm § 28 Abs 1 Nr 2 KFürsV nicht für seinen so verstandenen Lebensunterhalt.

Da durch die Kraftfahrzeughilfe eine spezielle schädigungsbedingte Bedarfssituation abgedeckt und dem Betroffenen insoweit eine Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft ermöglicht werden soll25, ist diese konkrete Form der Eingliederungshilfe keine laufende Leistung für den Lebensunterhalt iS des § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX. Dies wird auch dadurch deutlich, dass sie grundsätzlich unabhängig von den individuellen Einkommens- und Vermögensverhältnissen geleistet wird, sofern die gesundheitlichen Voraussetzungen zum Leistungsbezug erfüllt sind (vgl § 25c Abs 3 S 2 iVm § 25f Abs 1 S 6 BVG)26.

Dass der Kläger danach für den Zeitraum vom 01.05.2010 bis 30.04.2011 nach § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX keinen Anspruch auf Ausgabe einer kostenlosen Wertmarke für die unentgeltliche Beförderung im Personenverkehr ohne Verpflichtung zur Entrichtung des Eigenanteils hatte, begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, insbesondere wird Art 3 Abs 1 GG nicht verletzt.

Der allgemeine Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln; dies gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen. Der allgemeine Gleichheitssatz untersagt dem Gesetzgeber jedoch nicht jede Differenzierung. Vielmehr bedürften Differenzierungen stets einer Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind.

Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz unterschiedliche Grenzen, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Dem Gesetzgeber werden dabei umso engere Grenzen gesetzt, je stärker sich die Ungleichbehandlung auf verfassungsrechtlich gewährleistete Freiheiten auswirkt und je weniger der Einzelne nachteilige Folgen durch eigenes Verhalten vermeiden kann27. Die aus Art 3 Abs 1 GG folgenden Grenzen sind insbesondere dann überschritten, wenn eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten28.

Demnach ergibt sich aus Art 3 Abs 1 GG auch ein Verbot gleichheitswidriger Begünstigungsausschlüsse, bei denen also eine Begünstigung einem Personenkreis gewährt und einem anderen ohne hinreichenden Grund vorenthalten wird. Werden bei der Gewährung bedürftigkeitsabhängiger Sozialleistungen die Empfänger anderer Sozial- oder Entschädigungsleistungen in unterschiedlicher Weise der Einkommensanrechnung unterworfen, muss also die Berechtigung zur unterschiedlichen Behandlung genau geprüft werden29.

Gemessen an diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben ist Maßstab für die Rechtfertigung der Auswahl der von der sozialen Vergünstigung iS des § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX betroffenen Personenkreise das Willkürverbot30. Dieses wird hier nicht verletzt.

Soweit die Befreiung von der Verpflichtung, für die Ausgabe der Wertmarke nach § 145 SGB IX einen Eigenanteil in Höhe von 60 € für ein Jahr bzw 30 € für ein halbes Jahr leisten zu müssen, gemäß § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX für Bezieher von Leistungen nach § 27d BVG davon abhängig ist, dass diese laufende Leistungen für den Lebensunterhalt erhalten, ist dieses Differenzierungsmerkmal jedenfalls nicht willkürlich. Personen, deren nach § 27d BVG bezogene Leistungen nicht dem Lebensunterhalt dienen, werden dadurch nicht sachwidrig benachteiligt.

Der Gesetzgeber wollte im Jahre 1983 die Kosten eindämmen, die vor dem Inkrafttreten der Änderungen durch das Haushaltsbegleitgesetz 1984 mit der Freifahrtberechtigung einhergingen. Zu diesem Zweck hat er den Grundsatz eingeführt, dass alle Schwerbehinderten, die Anspruch auf Ausgabe einer Wertmarke zur Beförderung im öffentlichen Personenverkehr haben, einen Eigenanteil in Höhe von monatlich umgerechnet 5 € zu leisten haben. Damit wird der gesetzliche Zweck der Mobilitätsförderung durch unentgeltliche Beförderung nur moderat relativiert, wobei gleichzeitig die durch Erstattung der Fahrgeldausfälle entstehenden finanziellen Belastungen der öffentlichen Hand eingedämmt werden31.

Lediglich für besonders schutzbedürftige Personengruppen hat der Gesetzgeber eine Ausnahme von dieser Regel vorgesehen und ihnen die Wertmarke nach wie vor ohne Eigenanteilsleistung zugänglich gemacht. Insoweit hat das BSG bereits zur Vorgängerregelung in § 57 Abs 1 S 5 Ziff 1 bis 3 SchwbG entschieden, dass die Begünstigung der dort genannten Personenkreise gegenüber anderen Schwerbehinderten nicht willkürlich erfolgt ist32. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Eigenbeteiligung im Vergleich zum Nutzen der Wertmarke nur eine geringe finanzielle monatliche Belastung darstellt. Insoweit erscheint es gerechtfertigt, dass der Gesetzgeber eine Befreiungsmöglichkeit nur in engen Grenzen zugelassen hat. Diese werden – soweit es § 145 Abs 1 S 5 Nr 2 SGB IX betrifft – durch das Erfordernis eines Bezuges laufender Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sachgerecht bestimmt, da die begünstigten Personen wirtschaftlich vom Existenzminimum leben. Dadurch wird den Belangen „typischer Gruppen einkommensschwacher Freifahrtberechtigter“33 angemessen Rechnung getragen. Im Gesamtzusammenhang der Vergünstigung ist zudem bedeutsam, dass sich der Gesetzgeber dafür entschieden hat, die Vergünstigung, die mit der Ausgabe einer Wertmarke zur Beförderung im öffentlichen Personenverkehr einhergeht, allen nach § 145 Abs 1 S 1 SGB IX Berechtigten zukommen zu lassen, ohne dass es auf die Ursache ihrer Behinderung oder auf die wirtschaftlichen Verhältnisse ankäme34.

Bundessozialgericht, Urteil vom 25. Oktober 2012 – B 9 SB 1/12 R

  1. vgl Masuch in Hauck/Noftz, SGB IX, Stand März 2012, K § 145 RdNr 26; Winkler in Müller-Wenner/Winkler, SGB IX Teil 2, 2. Aufl 2011, § 145 RdNr 14[]
  2. vgl BSG Urteil vom 11.03.1976 – 7 RAr 45/75, SozSich 1976, 186, 187[]
  3. BGBl I 1046[]
  4. vgl BT-Drucks 14/5074, S 115[]
  5. BGBl I 989[]
  6. BGBl I 1421[]
  7. Oppermann in Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Aufl 2012, § 145 RdNr 1[]
  8. vom 22.12.1983, BGBl I 1532[]
  9. BR-Drucks 302/83, S 63[]
  10. BR-Drucks 302/83, S 89; vgl dazu bereits auch BSG, Urteile vom 17.07.2008 – B 9/9a SB 11/06 R, SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 34 und vom 06.10.2011 – B 9 SB 6/10 R, SozR 4-3250 § 145 Nr 3 RdNr 35[]
  11. BT-Drucks 10/3218, S 1; BT-Drucks 10/3495, S 1[]
  12. BGBl I 1516[]
  13. vgl BT-Drucks 10/3495, S 5; BR-Drucks 291/85, S 1[]
  14. vgl dazu BSG, Urteile vom 17.07.2008 – B 9/9a SB 11/06 R, SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 29 sowie vom 06.10.2011 – B 9 SB 6/10 R, SozR 4-3250 § 145 Nr 3 RdNr 18[]
  15. vgl bereits zu § 57 Abs 1 S 4 SchwbG idF vom 22.12.1983, BGBl I 1532: BSG Urteil vom 08.10.1987 – 9a RVs 6/87, SozR 3870 § 57 Nr 1 und zur Rechtslage nach Einführung von § 145 SGB IX: BSG, Urteile vom 17.07.2008 – B 9/9a SB 11/06 R, SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 29 sowie vom 06.10.2011 – B 9 SB 6/10 R, SozR 4-3250 § 145 Nr 3 RdNr 18, jeweils mwN[]
  16. vgl Vogl in jurisPK SGB IX, Online-Ausgabe, § 145 RdNr 47, Stand Februar 2010[]
  17. vgl dazu BVerfG Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09, BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12[]
  18. § 28a mit Wirkung vom 01.01.2005 eingeführt durch Art 18 Nr 24 Gesetz zur Änderung des Bundesversorgungsgesetzes und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13.12.2007, BGBl I 2904[]
  19. vgl Empfehlungen zur Kriegsopferfürsorge, hrsg von Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und Hauptfürsorgestellen, Stand Januar 2012, 27d.2 S 7[]
  20. vgl Empfehlungen zur Kriegsopferfürsorge, aaO, 27d.3 S 20/3, 35f[]
  21. vgl BSG Urteil vom 13.12.1994 – 9 RVs 7/93[]
  22. vgl dazu BSG, Urteil vom 06.10.2011 – B 9 SB 6/10 R, SozR 4-3250 § 145 Nr 3 RdNr 19[]
  23. BT-Drucks 10/3138 S 40[]
  24. BSG, Urteil, aaO, RdNr 28[]
  25. vgl BVerwG Urteil vom 23.11.1995 – 5 C 7/94[]
  26. Ernst, Die Entwicklung der Kriegsopferfürsorge, SuP 2000, 343, 352[]
  27. zB BVerfG Beschluss vom 21.07.2010 – 1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07, BVerfGE 126, 400, 418 mwN[]
  28. zB BVerfG Beschluss vom 21.07.2010 – 1 BvR 611/07, 1 BvR 2464/07, BVerfGE 126, 400, 416[]
  29. BVerfG Beschluss vom 16.03.2011 – 1 BvR 591/08, 1 BvR 593/08, SGb 2011, 702, 705 mwN[]
  30. vgl BSG Urteil vom 06.10.2011 – B 9 SB 6/10 R, SozR 4-3250 § 145 Nr 3 RdNr 46; vom 17.07.2008 – B 9/9a SB 11/06 R, SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 30 ff, 36[]
  31. vgl BSG vom 17.07.2008 – B 9/9a SB 11/06 R, SozR 4-3250 § 145 Nr 1 RdNr 28[]
  32. BSG Urteil vom 08.10.1987 – 9a RVs 6/87, SozR 3870 § 57 Nr 1 S 4[]
  33. vgl BT-Drucks 10/335 S 89[]
  34. vgl BT-Drucks 8/2453, S 8f[]