Kindergeld für den serbischen Werkstudenten

Ein Werkstudent, für den aufgrund eines sog. Werkstudentenprivilegs keine Sozialversicherungspflicht besteht, kann nach § 62 Abs. 1 EStG i.V.m. dem SozSichAbk YUG kindergeldberechtigt sein.

Das SozSichAbk YUG ist auch nach dem Zerfall Jugoslawiens weiter anzuwenden. Ebenso hat auch das Bundessozialgericht im Jahr 2000 die Fortgeltung des SozSichAbk YUG bejaht. Im Hinblick hierauf schließt sich der Bundesfinanzhof den Zweifeln an der Fortgeltung des SozSichAbk YUG, die das BSG später (2006) geäußert, aber aus prozessrechtlichen Gründen nicht aufrechterhalten hat, nicht an.

Der Werkstudent ist nach dem SozSichAbk YUG anspruchsberechtigt. Nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a SozSichAbk YUG stehen bei der Anwendung der Rechtsvorschriften eines Vertragsstaats (hier: Deutschland) die Staatsangehörigen des anderen Vertragsstaats den Staatsangehörigen des zuerst genannten Vertragsstaats gleich. Danach ist der Werkstudent, der im maßgeblichen Zeitpunkt der Einspruchsentscheidung serbischer Staatsangehöriger war, wie ein deutscher Staatsangehöriger zu behandeln.

Im Hinblick auf die sich hieraus ergebende Gleichstellung mit deutschen Staatsangehörigen steht der Anspruchsberechtigung des Werkstudents der in § 62 Abs. 2 EStG vorgesehene Anspruchsausschluss für Ausländer nicht entgegen.

Im Bereich des Kindergeldrechts bezieht sich die in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a SozSichAbk YUG vorgesehene Gleichbehandlung gemäß Art. 2 Abs. 1 Buchst. b SozSichAbk YUG nur auf das “Kindergeld für Arbeitnehmer”. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen im Streitfall vor, wie das Finanzgericht im Ergebnis zu Recht entschieden hat.

Art. 2 Abs. 1 Buchst. b SozSichAbk YUG erfasst auch Ansprüche auf Kindergeld für Kinder mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland.

Wie das BSG mit Urteil in BSGE 86, 115 entschieden hat, kam es beim Inkrafttreten des SozSichAbk YUG auf die Arbeitnehmereigenschaft des Kindergeldberechtigten nur bei Ansprüchen auf Kindergeld für Kinder an, die sich im anderen Vertragsstaat (Jugoslawien) aufhielten. Dies beruhte darauf, dass ausländerdiskriminierende Vorschriften im deutschen Kindergeldrecht erst seit 1990 bestehen und damit weder bei Abschluss des SozSichAbk YUG 1968 noch bei dessen Änderung im Jahre 1974 vorlagen. Nur bei einem Kindergeldanspruch für Kinder mit Aufenthaltsort in Jugoslawien ergab sich daher ein Anspruch auf Kindergeld aufgrund des SozSichAbk YUG, wobei dessen Art. 28 Abs. 1 voraussetzte, dass die “Person” (der Anspruchsberechtigte) in Deutschland beschäftigt war. Das Änderungs-Abkommen 1974 verbesserte diese Position insoweit, als der enge Arbeitnehmerbegriff gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 2 SozSichAbk YUG dadurch erweitert wurde, dass Bezieher von Krankengeld und Arbeitslosengeld einbezogen wurden.

Aufgrund der seit 1990 bestehenden Beschränkungen für den Kindergeldbezug von Ausländern kann Art. 2 Abs. 1 Buchst. b SozSichAbk YUG auch für Kinder mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland einen Kindergeldanspruch begründen. Dass der sich aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. a SozSichAbk YUG ergebende Gleichbehandlungsanspruch erst aufgrund einer späteren Änderung des inländischen Rechts Bedeutung erlangt hat, steht dem nicht entgegen. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass dieser Gleichbehandlungsanspruch nur im Hinblick auf die bei Abschluss des Abkommens bestehende Rechtslage von Bedeutung ist. Andernfalls käme es im Hinblick auf die späteren Einschränkungen der Kindergeldberechtigung von Ausländern zu einem Wertungswiderspruch, da das SozSichAbk YUG bei jugoslawischen Arbeitnehmern, die im Inland tätig sind, einen Kindergeldanspruch nur für Kinder in Jugoslawien, nicht aber auch für Kinder im Inland begründen würde.

Der Werkstudent erfüllt die Voraussetzungen des Arbeitnehmerbegriffs i.S. von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b SozSichAbk YUG.

Nach dem BSG, Urteil in BSGE 86, 115 liegt Art. 2 Abs. 1 Buchst. b SozSichAbk YUG ein enger Arbeitnehmerbegriff zugrunde, der darauf beruht, dass –anders als nach deutschem materiellen Kindergeldrecht– nach jugoslawischem Recht nur Arbeitnehmer Anspruch auf Kindergeld hatten. Das BSG ist insoweit davon ausgegangen, dass die gegenseitig eingegangenen Verpflichtungen nur durch eine Beschränkung des sachlichen Geltungsbereiches auf das “Kindergeld für Arbeitnehmer” (auch für Deutschland) im Gleichgewicht gehalten werden können.

Folge dieses engen Arbeitnehmerbegriffs ist z.B., dass ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis, das zu einer Versicherungsfreiheit bei Kranken- und Arbeitslosen- und Rentenversicherung führt, keine Arbeitnehmereigenschaft i.S. von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b SozSichAbk YUG begründet.

Aus der engen Auslegung des Arbeitnehmerbegriffs folgt aber nicht, dass die Arbeitnehmereigenschaft i.S. von Art. 2 Abs. 1 Buchst. b SozSichAbk YUG stets eine Versicherungspflicht in allen Zweigen der Sozialversicherung voraussetzt.

Besteht in einem Sozialversicherungszweig für einen Arbeitnehmer eine Versicherungsfreiheit aufgrund einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung, ist vielmehr unter Berücksichtigung der mit der Ausnahmeregelung verfolgten Ziele zu entscheiden, ob die erforderliche Arbeitnehmereigenschaft im Sinne des SozSichAbk YUG vorliegt.

Dabei ist im Streitfall zu berücksichtigen, dass die Versicherungsfreiheit nach § 27 Abs. 4 SGB III (Arbeitsförderung) auf einem sog. “Werkstudentenprivileg” beruht. Gesetzliches Leitbild des Werkstudentenprivilegs sind Studierende, die neben ihrem Studium eine entgeltliche Beschäftigung ausüben, um sich durch Arbeit die zur Durchführung des Studiums und zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts erforderlichen Mittel zu verdienen. Eine sozialversicherungsrechtliche Begünstigung, die es Studenten erleichtern soll, als Arbeitnehmer Mittel zur Bestreitung ihres Lebensunterhalts zu verdienen, rechtfertigt es nicht, eine abkommensrechtliche Kindergeldberechtigung “für Arbeitnehmer” einzuschränken.

Im Hinblick auf diese Besonderheit der Versicherungsfreiheit nach § 27 Abs. 4 SGB III besteht kein Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, die für geringfügige Beschäftigungsverhältnisse im Hinblick auf den geringen Umfang der dabei ausgeübten Tätigkeit, der als Anknüpfungspunkt für die Versicherungsfreiheit dient, das Vorliegen einer Arbeitnehmereigenschaft nach Art. 2 Abs. 1 Buchst. b SozSichAbk YUG verneint.

Bundesfinanzhof, Urteil vom 7. März 2013 – V R 61/10