Kieferorthopädische Behandlung als Härtefallleistung der Grundsicherung
Gegen das Jobcenter besteht kein Anspruch auf eine kieferorthopädische Behandlung als Härtefallleistung.
In dem jetzt vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall hatte die zuständige gesetzliche Krankenkasse der 1996 geborenen Klägerin ihr eine Kostenzusage für eine kieferorthopädische Behandlung auf Grundlage eines Behandlungsplans des behandelnden Kieferorthopäden erteilt. Der Kieferorthopäde erstellte darüber hinaus einen ergänzenden Heil- und Kostenplan. Die Übernahme der hieraus resultierenden Kosten lehnte das beklagte Jobcenter Köln ab.
Auch vor dem Sozialgericht Köln1 und dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen in Essen2 konnte die Klägerin mit ihrem Begehren, das Jobcenter möge die Kosten der ergänzenden kieferorthopädischen Behandlung durch die Gewährung einer Härtefallleistung übernehmen, nicht durchdringen. Die Voraussetzungen hierfür, so das Landessozialgericht, seien nicht gegeben. Bei den Aufwendungen für die kieferorthopädische Behandlung nach dem ergänzenden Heil- und Kostenplan handele es sich weder um einen laufenden, noch einen besonderen Bedarf. Auch sei dieser nicht unabweisbar, da die medizinisch notwendige Versorgung von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werde.
Das Bundessozialgericht hat bestätigt, dass der Bedarf der Klägerin durch die ergänzende kieferorthopädische Behandlung nicht unabweisbar war. Unabweisbar im Sinne des Grundsicherungsrechts kann wegen des Nachrangs dieses Leistungssystems gegenüber anderen Sozialleistungssystemen ein medizinischer Bedarf nur sein, wenn nicht die gesetzliche Krankenversicherung zur Leistungserbringung, also zur Bedarfsdeckung verpflichtet ist. Dazu hat der Leistungsberechtigte den Bedarf grundsätzlich zunächst einmal gegenüber der Krankenkasse geltend zu machen. Erst wenn diese die Leistungsgewährung ablehnt und es sich gleichwohl um eine medizinisch notwendige Behandlungsmaßnahme handelt, die die gesetzliche Krankenversicherung aber nur unter Einschränkungen erbringt, kann eine Härtefallleistung zur Existenzsicherung in Betracht kommen. Im Bereich der kieferorthopädischen Versorgung sind im Recht der gesetzlichen Krankenversicherung zwar Beschränkungen im Hinblick auf die Leistungsverpflichtung der Krankenkassen vorgesehen. Wird jedoch ‑ wie hier ‑ kieferorthopädische Versorgung durch die gesetzliche Krankenversicherung gewährt, erbringt diese die gesetzlich vorgesehene medizinisch notwendige Versorgung. Die medizinische Notwendigkeit für die ergänzenden Behandlungsmaßnahmen des Kieferorthopäden war damit bereits aus diesem Grunde nicht gegeben.
Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Mehrbedarfsleistung wegen einer Härte auf Grundlage der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Februar 2010 ((BVerfG, Urteil vom 09.02.2010 – 1 BvL 1/09 u.a., BVerfGE 125, 175) lagen im hier streitigen Zeitraum jedoch nicht vor. Zwar ergibt sich nach Aktenlage, dass im Bewilligungszeitraum ein Bedarf durch die Aufwendungen für die Behandlung aufgrund einer Forderung des Kieferorthopäden entstanden war. Der Bedarf war jedoch nicht unabweisbar. Unabweisbar im Sinne des Grundsicherungsrechts kann wegen der Subsidiarität dieses Leistungssystems ein medizinischer Bedarf nur sein, wenn nicht die Krankenversicherung als Dritter zur Leistungserbringung, also zur Bedarfsdeckung verpflichtet ist. Dazu hat der Leistungsberechtigte den Bedarf grundsätzlich zunächst einmal gegenüber der Krankenkasse geltend zu machen. Erst nachdem diese die Leistungsgewährung ablehnt, kann, wenn es sich gleichwohl um einen medizinisch notwendigen Bedarf handelt, unter weiteren Voraussetzungen eine Bedarfsdeckung durch existenzsichernde Leistungen in Betracht kommen. Im Bereich der kieferorthopädischen Versorgung sind im SGB V zwar Beschränkungen im Hinblick auf die Leistungsverpflichtung der gesetzlichen Krankenversicherung vorgesehen. Insoweit handelt es sich jedoch „nur“ um Beschränkungen beim Zugang zur Versorgung. Wird eine kieferorthopädische Versorgung – wie hier – durch die gesetzliche Krankenversicherung gewährt, erbringt sie auf Grundlage von § 27 SGB V die medizinisch notwendige Versorgung. Die medizinische Notwendigkeit für die ergänzenden Behandlungsmaßnahmen des Kieferorthopäden war damit bereits aus diesem Grunde nicht gegeben.
Bundessozialgericht, Urteil vom – B 4 AS 6/13 R