Anspruch auf einen Integrationskindergartenplatz
Ein vierjähriges Kind, bei dem nach einer fachärztlichen Stellungnahme frühkindlicher Autismus vorliege, hat einen Anspruch auf Bereitstellung eines bedarfsgerechten Kindergartenplatzes nach § 24 Abs. 3 Satz 1 des 8. Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VIII) gegen die örtliche Jugendhilfeträgerin.
In dem hier vom Verwaltungsgericht Hannover entschiedenen Eilverfahren lebt das antragstellende vierjährige Kind mit seinen Eltern in Garbsen. Laut einer Ende 2023 erstellten fachärztlichen Stellungnahme liegt bei ihm frühkindlicher Autismus vor. Die Stellungnahme empfiehlt die Betreuung des Kindes in einer geeigneten Kindertagesstätte, vorrangig in einer Gruppe mit heilpädagogischer Förderung. Seit seinem dritten Lebensjahr gewährt der Fachbereich Teilhabe der die Region Hannover dem Kind ambulante Leistungen der Eingliederungshilfe nach dem 9. Buch des Sozialgesetzbuchs (SGB IX) als sog. Frühförderung im Umfang von zuletzt vier Wochenstunden. Im Mai 2024 beantragten die Eltern des Kindes beim Fachbereich Teilhabe der Region Hannover die Bereitstellung eines Integrationskindergartenplatzes oder eines Platzes in einem heilpädagogischen Kindergarten.
Anfang Juli 2024 teilte der Fachbereich Teilhabe der Region Hannover den Eltern des Kindes nach interner befürwortender Bewertung mit, dass er die Betreuung des Kindes in einer integrativen Gruppe in einem Regelkindergarten empfehle. Für die Erteilung einer formalen Kostenübernahmeerklärung sei erforderlich, dass die Eltern des Kindes mitteilen würden, in welchem Kindergarten de4jährige Junge betreut werden solle. Die Eltern des Kindes konnten nachfolgend mit eigenen Bemühungen einen geeigneten Betreuungsplatz nicht finden und ersuchten den Fachbereich Teilhabe der Region Hannover und die Stadt Garbsen ebenfalls vergeblich um den Nachweis eines solchen Platzes. Auf eine anwaltliche Beschwerde vom September 2024 hin erteilte der Fachbereich Teilhabe der Region Hannover dem Kind im November 2024 Kostenanerkenntnisse für die Förderung in einem heilpädagogischen Kindergarten, auf einem Integrationskindergartenplatz und für eine qualifizierte / nicht qualifizierte KiTa-Assistenz mit einem Betreuungsanteil von 1:1, ohne jedoch einen konkreten Betreuungsplatz zu benennen. Parallel versuchte der Fachbereich Teilhabe der Region Hannover nunmehr mittels konkreter Anfragen bei verschiedenen Einrichtungsträgern – bisher – erfolglos, dem Kind einen Betreuungsplatz in einem Heilpädagogischen Kindergarten oder einen Integrationskindergartenplatz zu vermitteln.
De4jährige Junge hat am 10. Januar 2025 beim Verwaltungsgericht Hannover einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Er ist der Ansicht, dass ihm – wie jedem Kind – ein Anspruch auf Bereitstellung eines bedarfsgerechten Kindergartenplatzes nach § 24 Abs. 3 Satz 1 des 8. Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB VIII) zur Verfügung stehe. Zuständig hierfür sei die Region Hannover als Jugendhilfeträger. Ein bloßes Kostenanerkenntnis des Fachbereichs Teilhabe und der Verweis auf die eigenständige Beschaffung der Leistung würden diesem Anspruch nicht genügen. Der Anspruch auf Bereitstellung eines geeigneten Betreuungsplatzes nach dem SGB VIII sei nicht kapazitätsgebunden. Bei Kindern mit besonderem Förderungsbedarf könne nichts Anderes gelten. Die Region Hannover hält den Fall nicht für eilbedürftig. Ab Sommer 2025 stünden dem Kind bedarfsgerechte Kindergartenplätze zur Verfügung. Der Fachbereich Teilhabe habe sich zudem intensiv um die Beschaffung eines bedarfsgerechten Kindergartenplatzes bemüht, aber einen solchen kurzfristig nicht gefunden. Ihr Jugendamt sei für die Bereitstellung eines Betreuungsplatzes sachlich nicht zuständig, weil in Niedersachsen die Frühförderung von Kindern mit Beeinträchtigungen, wozu auch eine geeignete Tagesbetreuung gehöre, als Leistung der Eingliederungshilfe nach dem SGB IX ausgestaltet sei.
Das Verwaltungsgericht Hannover gab nun dem Kind recht:
Die Region Hannover sei für diese Bereitstellung auch als Jugendhilfeträgerin sachlich zuständig und inhaltlich verpflichtet. Der Anspruch nach § 24 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII stünde unterschiedslos allen Kindern, auch solchen mit Integrationsbedarf, zu. Der Anspruch sei zudem ein Erfüllungsanspruch, bei dem ein Kostenanerkenntnis und der Verweis auf die eigenständige Beschaffung der Leistung nicht ausreichen würden. Dies gelte auch dann, wenn in tatsächlicher Hinsicht ein dem individuellen Bedarf des Kindes entsprechender Kindergartenplatz aktuell nicht zur Verfügung stünde. Der Anspruch sei kapazitätsungebunden.
Der Anspruch auf Bereitstellung eines bedarfsgerechten Kindergartenplatzes könne auch trotz eines ab dem Sommer 2025 bestehenden Platzangebots im Eilverfahren geltend gemacht werden, weil jeder verstreichende Tag den Anspruch des Kindes auf frühkindliche Bildung verkürze.
Verwaltungsgericht Hannover, Beschluss vom 13. März 2025 – 3 B 581/35