Krankengeld nach Ende des Arbeitsverhältnisses
Nach § 44 Abs 1 S 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn – abgesehen von den Fällen stationärer Behandlung – Krankheit sie arbeitsunfähig macht. Ob und in welchem Umfang Versicherte Krankengeld beanspruchen können, bestimmt sich nach dem Versicherungsverhältnis, das im Zeitpunkt des jeweils in Betracht kommenden Entstehungstatbestands für Krankengeld vorliegt1.
Nach § 46 S 1 SGB V entsteht der Anspruch auf Krankengeld
- bei Krankenhausbehandlung oder Behandlung in einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung (§ 23 Abs 4, § 24, § 40 Abs 2 und § 41 SGB V) von ihrem Beginn an,
- im Übrigen von dem Tag an, der auf den Tag der ärztlichen Feststellung der AU folgt.
Wird Krankengeld wegen ärztlich festgestellter AU begehrt, ist für den Umfang des Versicherungsschutzes demgemäß grundsätzlich auf den Tag abzustellen, der dem Tag der Feststellung der AU folgt2. Das Gesetz bietet weder einen Anhalt für ein Verständnis des § 46 S 1 Nr 2 SGB V als bloße Zahlungsvorschrift noch dafür, dass der Krankengeld-Anspruch gemäß § 44 SGB V schon bei Eintritt der Arbeitsunfähigkeit (AU) entsteht3.
Während eines bestehenden Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitnehmer aufgrund seiner Beschäftigung mit Anspruch auf Krankengeld versichert (§ 5 Abs 1 Nr 1, § 44 SGB V). Die durch die Beschäftigtenversicherung begründete Mitgliedschaft endet nicht mit dem Ablauf des Tages, an dem das Beschäftigungsverhältnis gegen Arbeitsentgelt endete (§ 190 Abs 2 SGB V), sondern besteht darüber hinaus fort.
Die – hier durch die Beschäftigtenversicherung begründete – Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger besteht unter den Voraussetzungen des § 192 SGB V fort. Sie bleibt nach § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V ua erhalten, solange Anspruch auf Krankengeld besteht4. § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V verweist damit wieder auf die Vorschriften über den Krankengeld-Anspruch, die ihrerseits voraussetzen, dass ein Versicherungsverhältnis mit Anspruch auf Krankengeld vorliegt. Um diesen Anforderungen zu genügen, reicht es aus, dass Versicherte am letzten Tage des Versicherungsverhältnisses mit Anspruch auf Krankengeld – hier des Beschäftigungsverhältnisses – alle Voraussetzungen erfüllen, um spätestens mit Beendigung dieses Tages – und damit zugleich mit Beginn des nächsten Tages – einen Krankengeld-Anspruch entstehen zu lassen. Das folgt aus Entwicklungsgeschichte, Regelungssystem und -zweck, ohne dass der Wortlaut der Normen einer solchen Auslegung entgegensteht5. Die Aufrechterhaltung der Beschäftigtenversicherung setzt insoweit nur eine Nahtlosigkeit von Beschäftigung und Entstehung des Rechts auf die Sozialleistung voraus, also die Entstehung des Anspruchs auf die Sozialleistung in unmittelbarem zeitlichen Anschluss an das Ende des Beschäftigungsverhältnisses6.
Bei fortdauernder AU, aber abschnittsweiser Krankengeld-Bewilligung ist jeder Bewilligungsabschnitt eigenständig zu prüfen7. Für die Aufrechterhaltung des Krankengeld-Anspruchs aus der Beschäftigtenversicherung ist es deshalb erforderlich, aber auch ausreichend, dass die AU vor Ablauf des Krankengeld-Bewilligungsabschnitts erneut ärztlich festgestellt wird8. Hieran fehlt es. Die den Anspruch vermittelnde, auf der Beschäftigtenversicherung beruhende Mitgliedschaft der Versicherte bei der Beklagten endete mit Ablauf des 24.10.2010. Als die Versicherte am 25.10.2010 erneut ihre Ärztin aufsuchte, um die Fortdauer der AU feststellen zu lassen, war sie deshalb nicht mehr nach § 192 Abs 1 Nr 2 SGB V mit Anspruch auf Krankengeld versichert. Ab diesem Zeitpunkt richtete sich die Versicherungspflicht wegen des Bezugs von Alg vielmehr nach § 5 Abs 1 Nr 2 SGB V.
Im vorliegenden Fall ergaben sich allerdings keine Anhaltspunkte für einen Sachverhalt, bei dem die AU-Feststellung für einen weiteren Bewilligungsabschnitt ausnahmsweise – rückwirkend auf den letzten Tag des abgelaufenen Krankengeld-Bezugs – hätte nachgeholt werden können9.
Die Versicherungsnehmerin kann sich auch nicht auf einen sozialrechtlichen Herstellungsanspruch stützen. Der sozialrechtliche Herstellungsanspruch setzt nach den allgemeinen richterrechtlichen Grundsätzen bei einer dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnenden Pflichtverletzung ein, durch welche dem Berechtigten ein sozialrechtlicher Nachteil oder Schaden entstanden ist. Die vom LSG in diesem Zusammenhang geäußerte Rechtsauffassung, es wäre an sich Sache der KK, den Versicherten rechtzeitig vor Ablauf des schon festgestellten AU-Zeitraums auf die besondere gesetzliche Regelung und deren im Regelfall gravierende Folgen hinzuweisen, teilt das Bundessozialgericht nicht. Die Versicherte kann sich auch nicht darauf berufen, zumindest die Vertragsärzte, die für die Beklagte die AU feststellten, müssten bei länger andauernder AU die Versicherten darauf aufmerksam machen, rechtzeitig vor dem Ende der zuletzt bescheinigten AU erneut vorzusprechen. Insoweit fehlt es bereits an einer dem zuständigen Sozialleistungsträger zuzurechnenden Pflichtverletzung10. KKn sind nicht gehalten, Hinweise auf den gesetzlich geregelten Zeitpunkt einer ggf erneut erforderlichen AU-Feststellung zu geben oder solche Hinweise in den Formularen zur Bescheinigung der AU vorzusehen11. Insbesondere besteht auch keine Pflicht zur Aufklärung der Versicherten über ihre Obliegenheiten12.
Die differenzierende gesetzliche Regelung der Krankengeld-Ansprüche mag zwar eine Aufklärung der Versicherten über ihre Obliegenheiten wünschenswert erscheinen lassen. Der Herstellungsanspruch greift aber nicht schon dann ein, wenn eine allgemeine Aufklärung nach § 13 SGB I unterblieben ist13. Für eine Situation, bei der die Beklagte eine Pflicht zur Spontanberatung14 gehabt hätte, sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Die Beklagte konnte nicht erkennen, dass die Versicherte bei fortdauernder AU den in einer AU-Bescheinigung festgestellten Zeitraum verstreichen lassen wird, bevor sie erneut einen Arzt zur Feststellung der AU aufsuchen wird10.
Daran ändert nichts, dass die bescheinigte AU an einem Sonntag endete. Die Versicherte hätte die Möglichkeit gehabt, entweder bereits am Freitag erneut einen Arzt zur Feststellung der AU aufzusuchen oder aber den hausärztlichen Notfalldienst in Anspruch zu nehmen. Soweit die Ärztin M. von der Beklagten nicht veranlasste, unzutreffende rechtliche Ratschläge gegeben haben sollte, stehen der Versicherte ggf Schadensersatzansprüche gegen diese, nicht aber ein Krankengeld-Anspruch gegen die Beklagte zu15.
Der Versicherte steht auch kein nachgehender Leistungsanspruch für die Zeit vom 25.10. bis 24.11.2010 nach § 19 Abs 2 SGB V zu. In diesem Zeitraum war die Versicherte wegen des Alg-Bezugs pflichtversichert, sodass ein Krankengeld-Anspruch nicht auf § 19 Abs 2 SGB V gestützt werden kann.
Nach § 19 Abs 2 S 1 SGB V besteht, wenn die Mitgliedschaft Versicherungspflichtiger endet, Anspruch auf Leistungen längstens für einen Monat nach dem Ende der Mitgliedschaft, solange keine Erwerbstätigkeit ausgeübt wird. Nach der Rechtsprechung des erkennendas Bundessozialgerichts kommt ein solcher nachgehender Anspruch – abgesehen von der Konkurrenz mit der Auffangversicherung (vgl § 5 Abs 1 Nr 13 und Abs 8a SGB V sowie hierzu BSGE 111, 9, SozR 4-2500 § 192 Nr 5, RdNr 30 ff) – lediglich in Betracht, falls die Versicherte ab 25.10.2010 nicht auf andere Weise Krankenversicherungsschutz genoss16. Denn der aus der früheren Mitgliedschaft abgeleitete Versicherungsschutz ist gegenüber Ansprüchen aus einem aktuellen Versicherungsverhältnis grundsätzlich nachrangig, auch wenn das im Wortlaut des § 19 Abs 2 SGB V unmittelbar nicht zum Ausdruck kommt17. Daran fehlt es.
Die Versicherte war nämlich nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses wegen des Bezugs von Alg krankenversichert (§ 5 Abs 1 Nr 2 SGB V). Die Versicherungspflicht trat allein aufgrund des tatsächlichen Bezugs von Alg ein, ohne Rücksicht darauf, ob die Voraussetzungen für diesen Leistungsbezug vorgelegen haben18. Dementsprechend wird die allein durch den Bezug von Alg begründete Versicherungspflicht selbst dann nicht berührt, wenn die Entscheidung, die zum Leistungsbezug geführt hat, rückwirkend aufgehoben oder die Leistung zurückgefordert oder zurückgezahlt worden ist19. Dies gilt auch dann, wenn der Arbeitslose im Zeitpunkt seiner Arbeitslosmeldung arbeitsunfähig krank oder gar vermittlungsunfähig war20.
Bundessozialgericht, Urteil vom 4. März 2014 – B 1 KR 17/13 R
- vgl BSG SozR 4-2500 § 48 Nr 4 RdNr 9; BSG SozR 4-2500 § 192 Nr 4 RdNr 13; BSG SozR 4-2500 § 44 Nr 14 RdNr 12; BSG SozR 4-2500 § 44 Nr 12 RdNr 13; BSG SozR 4-2500 § 46 Nr 2 RdNr 12; BSG Urteil vom 26.06.2007 – B 1 KR 2/07 R , USK 2007-33; BSGE 98, 33, SozR 4-2500 § 47 Nr 6, RdNr 10; BSGE 111, 9, SozR 4-2500 § 192 Nr 5, RdNr 9[↩]
- BSG SozR 4-2500 § 46 Nr 2 RdNr 11; BSGE 111, 9, SozR 4-2500 § 192 Nr 5, RdNr 10[↩]
- vgl BSG SozR 4-2500 § 44 Nr 12 RdNr 13 mwN; BSGE 111, 9, SozR 4-2500 § 192 Nr 5, RdNr 10[↩]
- vgl auch BSG SozR 4-2500 § 44 Nr 12 RdNr 16; BSG Beschluss vom 16.12.2003 – B 1 KR 24/02 B ; Berchtold, Krankengeld, 2004, RdNr 454[↩]
- eingehend BSGE 111, 9, SozR 4-2500 § 192 Nr 5, RdNr 12[↩]
- BSG, aaO, RdNr 15[↩]
- stRspr, vgl zB BSG SozR 4-2500 § 44 Nr 12 RdNr 16 mwN; BSGE 94, 247, SozR 4-2500 § 44 Nr 6, RdNr 24[↩]
- BSG SozR 4-2500 § 44 Nr 12 RdNr 16 mwN; BSGE 95, 219, SozR 4-2500 § 46 Nr 1, RdNr 17; BSGE 94, 247, SozR 4-2500 § 44 Nr 6, RdNr 24; aA Berchtold, Krankengeld, 2004, RdNr 527[↩]
- vgl zu den in den Verantwortungsbereich der KKn fallenden Hinderungsgründen, insbesondere bei ärztlicher Fehlbeurteilung der Arbeitsfähigkeit BSGE 95, 219, SozR 4-2500 § 46 Nr 1, RdNr 18 ff und zur Verhinderung wegen Geschäfts- oder Handlungsunfähigkeit BSGE 25, 76, 77 f, SozR Nr 18 zu § 182 RVO[↩]
- BSGE 111, 9, SozR 4-2500 § 192 Nr 5, RdNr 24 f[↩][↩]
- BSG, aaO, RdNr 27[↩]
- BSG, aaO, mwN[↩]
- stRspr, vgl zB BSGE 67, 90, 93 f, SozR 3-1200 § 13 Nr 1 S 4 f; BSG SozR 3-5750 Art 2 § 6 Nr 15 S 50; BSGE 104, 108, SozR 4-2600 § 93 Nr 13, RdNr 28 mwN[↩]
- vgl dazu BSGE 106, 296, SozR 4-2500 § 50 Nr 2, RdNr 19 mwN[↩]
- BSGE 111, 9, SozR 4-2500 § 192 Nr 5, RdNr 27[↩]
- vgl BSG SozR 4-2500 § 44 Nr 14 RdNr 25[↩]
- stRspr, vgl BSGE 89, 254, 255 f, SozR 3-2500 § 19 Nr 5 mwN; BSG Urteil vom 26.06.2007 – B 1 KR 2/07 R – USK 2007-33; aA Noftz in Hauck/Noftz, SGB V, Stand Februar 2014, K § 19 RdNr 61, wonach der Vorrang des aktuellen Versicherungsverhältnisses nur bei gleichen oder gleichwertigen Leistungsansprüchen besteht[↩]
- BSG Urteil vom 22.05.2003 – B 12 KR 20/02 R – USK 2003-9; BSG SozR 4100 § 155 Nr 4 S 2 f und Nr 5 S 7; BSG SozR 4100 § 159 Nr 5 S 10[↩]
- BSG Urteil vom 22.05.2003, aaO; BSG SozR 4100 § 155 Nr 4 S 3 und Nr 5 S 7[↩]
- BSGE 55, 78, 81, SozR 2200 § 1531 Nr 13 S 14[↩]