Operative Brustvergrößerung für Intersexuelle

Intersexuelle Personen haben auch dann keinen Anspruch auf Versorgung mit einer beidseitigen Mamma-Augmentationsplastik, wenn zu ihren Gunsten unterstellt würde, dass Versicherte mit körperlichen Geschlechtsentwicklungsstörungen gegen ihre Krankenkasse grundsätzlich Anspruch auf geschlechtszuweisende oder verdeutlichende Behandlung haben.

Zielsetzung der gewünschten Behandlung ist es nicht, auf eine Körperfunktion einzuwirken, sondern lediglich das äußere Erscheinungsbild zu beeinflussen. Auch wenn die Erkrankung an Intersexualität als eine weitere Fallgruppe neben Entstellung und Behandlung von Transsexualismus für eine Änderung des Äußeren zu Lasten der Krankenkasse in Betracht kommt, besteht kein Anspruch auf jegliche Art von geschlechtsangleichenden operativen Maßnahmen im Sinne einer optimalen Annäherung an ein vermeintliches Idealbild. Versicherte wie die Versicherte mit einem Brustansatz, der die für konfektionierte Damenoberbekleidung vorgesehene Größe A voll ausfüllt, können entsprechend den Fällen des Transsexualismus keine Mamma-Augmentationsplastik beanspruchen. Ihr körperliches Erscheinungsbild bewegt sich nämlich in einem unzweifelhaft geschlechtstypischen Bereich.

Die Versicherte hat keinen Anspruch auf Versorgung mit einer Mamma-Augmentationsplastik aus § 27 Abs 1 S 1 SGB V. Versicherte – wie die Versicherte – haben danach Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die begehrte Mamma-Augmentationsplastik ist keine notwendige Krankenbehandlung. Die Versicherte ist zwar an einer körperlichen Geschlechtsentwicklungsstörung erkrankt. Die von ihr begehrte Behandlung bezieht sich aber nicht auf daraus resultierende Funktionsstörungen, sondern auf ihr äußeres Erscheinungsbild im Brustbereich. Das bestehende äußere Erscheinungsbild der Versicherte schließt nach den bei Mannzu-Frau-Transsexualismus entwickelten Rechtsgrundsätzen, die hier entsprechend anzuwenden sind, den Anspruch auf geschlechtszuweisende oder verdeutlichende Behandlung mittels Mamma-Augmentationsplastik auch dann aus, wenn der Bundesgerichtshof zu Gunsten der Versicherte unterstellt, dass Versicherte mit körperlichen Geschlechtsentwicklungsstörungen gegen ihre KK einen Anspruch auf geschlechtszuweisende oder verdeutlichende Behandlungsmaßnahmen einschließlich chirurgischer Eingriffe haben, um sich einem bestimmten geschlechtsbezogenen Erscheinungsbild – hier dem der Frau – deutlich anzunähern.

Die Versicherte hat keinen Anspruch auf Krankenbehandlung mittels Mamma-Augmentationsplastik, um eine bei ihr bestehende Funktionsbeeinträchtigung durch diese Form der Krankenbehandlung zu erkennen, zu heilen, zu lindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten. Um eine Behandlung einer Körperfunktionsstörung in diesem Sinne geht es der Versicherte nicht. Versicherte – wie die Versicherte – haben nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V nur dann Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Unter einer „Krankheit“ im Rechtssinne versteht die Rechtsprechung des BSG einen regelwidrigen; vom Leitbild des gesunden Menschen abweichenden Körper- oder Geisteszustand, der ärztlicher Behandlung bedarf oder den Betroffenen arbeitsunfähig macht1. Krankheitswert im Rechtssinne kommt nicht jeder körperlichen Unregelmäßigkeit zu. Erforderlich ist nach der maßgeblichen bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs vielmehr grundsätzlich, dass die Abweichung den Versicherten in seinen Körperfunktionen beeinträchtigt und diese Funktionsbeeinträchtigung durch die notwendige Krankenbehandlung erkannt, geheilt, gelindert oder ihre Verschlimmerung verhütet werden soll2.

Die Versicherte leidet im vorliegend vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall zwar an einer Funktionsstörung ihres Körpers, nämlich einer genetisch bedingten Biosynthesestörung. Sie verfügt nach dem Gesamtzusammenhang der unangegriffenen und deshalb den Bundesgerichtshof bindenden (§ 163 SGG) Feststellungen des LSG über einen normalen männlichen Chromosomensatz (46, XY-Kariotyp), leidet aber an einer Androgenbildungsstörung (Biosynthesestörung des Isoenzyms 3 der 17-Beta-Hydroxysteroid-Dehydrogenase <17-HSD>). Hierbei kann es zu einer unterschiedlich ausgeprägten Verminderung der Virilisierung des Genitales bis hin zum Fehlen jeglicher Virilisierung kommen3, teilweise aber auch zu spontaner Virilisierung während der Pubertät und Änderung der Geschlechtsidentität4. Die Biosynthesestörung verhindert bei der Versicherte die Bildung von Testosteron.

Sie beansprucht eine beidseitige Mamma-Augmentationsplastik aber nicht, um diese bei ihr erkannte Funktionsbeeinträchtigung zu heilen, zu lindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten. Die Zielsetzung der gewünschten Behandlung ist es nicht, auf eine Körperfunktion einzuwirken, sondern lediglich das äußere Erscheinungsbild zu beeinflussen.

Die Versicherte hat auch keinen Anspruch auf Krankenbehandlung mittels Mamma-Augmentationsplastik, um ihr äußeres Erscheinungsbild zu beeinflussen. Ein Anspruch auf Krankenbehandlung in Form von Eingriffen in intakte, nicht in ihrer Funktion beeinträchtigte Organsysteme kommt lediglich im Ausnahmefall in Betracht. Bejaht hat der Bundesgerichtshof solche Ansprüche bisher lediglich bei Abweichungen vom Regelfall, die entstellend wirken5, oder bei medizinisch gebotener Geschlechtsangleichung in Fällen des gesetzlich besonders geregelten Transsexualismus6.

Der Bundesgerichtshof lässt die Frage offen, ob Intersexualität eine weitere Fallgruppe in diesem Sinne begründet. Der Anspruch auf Krankenbehandlung hat sich nach § 27 Abs 1 S 1 SGB V iVm § 2 Abs 1 S 3, § 2 Abs 4, § 12 Abs 1 SGB V daran auszurichten, welche Behandlung unter Beachtung des umfassenden Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit notwendig und ausreichend ist, um das angestrebte, in § 27 Abs 1 S 1 SGB V bezeichnete Behandlungsziel zu erreichen. Hierzu ist unter Berücksichtigung des allgemein anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse nicht nur dem Grunde nach, sondern auch dem Umfang nach zu ermitteln, welche Reichweite der Therapie indiziert ist. Das LSG hat – ausgehend von seiner Rechtsauffassung zu Recht – hierzu keine Feststellungen getroffen.

Ein denkmöglicher Anspruch derjenigen, die an körperlichen Geschlechtsentwicklungsstörungen leiden, auf Behandlungen zur äußerlichen Geschlechtszuweisung oder verdeutlichung geht jedenfalls nicht über das hinaus, worauf an Transsexualismus erkrankte Versicherte Anspruch haben: nämlich auf die Herbeiführung eines äußerlichen Zustandes, der aus der Sicht eines verständigen Betrachters dem Erscheinungsbild des phänotypisch angestrebten Geschlechts deutlich angenähert ist. Selbst bei unterstelltem Behandlungsanspruch führt dies nicht dazu, Betroffenen Anspruch auf jegliche Art von geschlechtsangleichenden operativen Maßnahmen im Sinne einer optimalen Annäherung an ein vermeintliches Idealbild und ohne Einhaltung der durch das Recht der gesetzlichen Krankenversicherung vorgegebenen allgemeinen Grenzen einzuräumen7. Ein Anspruch, der bei Entstellung für alle Versicherten, auch für intersexuelle Versicherte, besteht, bleibt hiervon unberührt8. Gänzlich ausgeschlossen sind hingegen Ansprüche auf solche Behandlungsmaßnahmen, die darauf abzielen, die Uneindeutigkeit der äußeren Geschlechtsmerkmale zu erhöhen9. Dies gilt auch bei Intersexualität.

Das objektive Erscheinungsbild des Brustumfangs begrenzt auch bei Intersexualität – wie bei Mannzu-Frau-Transsexualismus – Ansprüche auf geschlechtsangleichende Behandlung im Sinne medizinisch indizierter Mamma-Augmentationsplastik. Der Bundesgerichtshof hat für entsprechende Ansprüche Transsexueller auf geschlechtsangleichende Behandlung im Sinne medizinisch indizierter Mamma-Augmentationsplastik bei Mannzu-Frau-Transsexualismus entschieden, dass sie durch das objektive Erscheinungsbild des Brustumfangs begrenzt sind. Ein Versicherter mit einem Brustansatz, der die für konfektionierte Damenoberbekleidung vorgesehene Größe A nach DIN EN 13402 bei erfolgter Ausatmung im Rahmen normaler Messung ohne weitere Mittel voll ausfüllt, kann danach keine Mamma-Augmentationsplastik beanspruchen10. Der Bundesgerichtshof hat dies damit begründet, dass das mit einem solchen Äußeren erreichte körperliche Erscheinungsbild sich nämlich – trotz der großen Vielfalt der Phänotypen bei Männern und Frauen – in einem unzweifelhaft geschlechtstypischen Bereich bewegt. Die Grenze trägt auch dem Gleichbehandlungsgebot gemäß Art 3 Abs 1 GG Rechnung. Die Grenzziehung vermeidet es, transsexuellen Versicherten einen umfassenden leistungsrechtlichen Zugang zu kosmetischen Operationen zu eröffnen, der nicht transsexuellen Versicherten von vornherein versperrt ist11. Diese immanenten Schranken eines Anspruchs auf geschlechtsangleichende Behandlung im Sinne medizinisch indizierter Mamma-Augmentationsplastik gelten auch für intersexuelle Versicherte. Es gibt keinen sachlichen Grund, Personen mit körperlichen Geschlechtsentwicklungsstörungen bei männlichem Chromosomensatz mit eher weiblichem Phänotypus einen weitergehenden Anspruch einzuräumen. Dies gilt erst recht, wenn bei ihnen keine psychische Folgeerkrankung vorliegt.

Insbesondere mit Blick auf die Behandlung des Mannzu-Frau-Tanssexualismus durch geschlechtsangleichende chirurgische Eingriffe und die zwischenzeitlich von KKn insoweit unzutreffend vertretene Rechtsauffassung weist der Bundesgerichtshof nur ergänzend darauf hin, dass dann, wenn nach den vorgenannten Voraussetzungen ein Anspruch auf Versorgung mit einer Mamma-Augmentationsplastik besteht, diese, soweit medizinisch unbedenklich, nicht auf Größe A nach der genannten DIN-Norm begrenzt ist.

Die Versicherte erfüllt im vorliegend entschiedenen FAll nicht die aufgezeigten Voraussetzungen für eine Versorgung mit einer Mamma-Augmentationsplastik. Nach den getroffenen Feststellungen erreicht das hauptsächlich aus Fettgewebe bestehende Brustwachstum der Versicherte ein Ausmaß, das nach den dargelegten Kriterien einen Anspruch auf eine Mamma-Augmentationsplastik ausschließt.

Bundessozialgericht, Urteil vom 4. März 2014 – B 1 KR 69/12 R

  1. stRspr, vgl zB BSGE 100, 119 = SozR 42500 § 27 Nr 14, RdNr 10; BSGE 93, 252 = SozR 42500 § 27 Nr 3, RdNr 4; BSGE 85, 36, 38 = SozR 32500 § 27 Nr 11 S 38; BSGE 72, 96, 98 = SozR 32200 § 182 Nr 14 S 64, jeweils mwN[]
  2. vgl BSG SozR 42500 § 18 Nr 7 RdNr 24 – Vitiligo[]
  3. vgl auch Hewitt/Warne, 46, XY DSD, in Hutson/Warne/Grover, Disorders of Sex Development, An Integrated Approach to Management, 2012, S 73; s auch Holterhus, Bundesgesundheitsbl 2013 <56>, 1686, 1692 mwN[]
  4. Hewitt/Warne, aaO, S 74[]
  5. vgl näher BSGE 100, 119 = SozR 42500 § 27 Nr 14, RdNr 13 f mwN[]
  6. vgl BSGE 111, 289 = SozR 42500 § 27 Nr 23; BSG Urteil vom 11.09.2012 – B 1 KR 9/12 R – Juris; BSG Urteil vom 11.09.2012 – B 1 KR 11/12 R – Juris[]
  7. vgl BSGE 111, 289 = SozR 42500 § 27 Nr 23, RdNr 23; BSG SozR 42500 § 27 Nr 20 RdNr 15 – Zisidentität; BSGE 93, 252 = SozR 42500 § 27 Nr 3, RdNr 11 – Mammahypoplasie[]
  8. vgl zum Transsexualismus BSGE 111, 289 = SozR 42500 § 27 Nr 23, RdNr 27[]
  9. vgl BSG SozR 42500 § 27 Nr 20 RdNr 16 – Zisidentität[]
  10. vgl BSGE 111, 289 = SozR 42500 § 27 Nr 23, RdNr 29[]
  11. vgl dazu zB BSGE 100, 119 = SozR 42500 § 27 Nr 14, RdNr 13 f mwN; vgl zum Ganzen BSGE 111, 289 = SozR 42500 § 27 Nr 23, RdNr 29 f[]