Der bestandskräftige Rentenbescheid – und seine spätere Korrektur

Gemäß § 44 Abs 1 S 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei seinem Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.

Der in § 44 Abs. 1 SGB X nicht ausdrücklich geregelte Anspruch auf eine Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft ergibt sich aus § 44 Abs 2 S 1 SGB X. Der bestandskräftige Altersrentenbescheid ist insofern ein nicht begünstigender Verwaltungsakt, als er nicht die jetzt begehrte höhere Altersrente unter Berücksichtigung weiterer Anrechnungszeiten gewährt. In dieser Hinsicht verlangt der Rentner die Rücknahme eines rechtswidrigen nicht begünstigenden Verwaltungsakts, durch den Sozialleistungenim Sinne von § 44 Abs 1 SGB X zu Unrecht nicht in der begehrten Höhe erbracht worden seien1.

Während der Wortlaut von § 44 Abs 1 S 1 Halbs 2 SGB X („und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind“) einen Zusammenhang zwischen der unrichtigen Rechtsanwendung bei Erlass des Verwaltungsakts (hier: unterlassene Anwendung von § 149 Abs 5 S 2 SGB VI) und dem Nichterbringen der begehrten Sozialleistung (hier: höhere Altersrente) herstellt, setzt § 44 Abs 2 S 1 SGB X keinen solchen Zusammenhang voraus2. Es wäre jedoch nicht folgerichtig, nach materiellem Recht nicht zustehende Sozialleistungen zwar nicht für die Vergangenheit, jedoch mit Wirkung für die Zukunft (ab dem Überprüfungsantrag) zu gewähren3. Daher ist insofern eine einheitliche Auslegung und Anwendung beider Normen geboten.

§ 44 SGB X soll dem Grundsatz der Rechtmäßigkeit des Verwaltungshandelns Geltung verschaffen und der Verwaltungsbehörde zur Herstellung materieller Gerechtigkeit die Möglichkeit eröffnen, Fehler, die im Zusammenhang mit dem Erlass eines Verwaltungsakts unterlaufen sind, zu berichtigen. Hierbei soll nach dem Willen des Gesetzgebers dessen Rücknahme nur dann in Betracht kommen, soweit eine erneute Überprüfung der Sach- und Rechtslage ergibt, dass die Behörde zu Ungunsten des Antragstellers falsch gehandelt hat4. Ansonsten soll der Verwaltungsakt bestehen bleiben. Nicht Sinn und Zweck des Zugunstenverfahrens kann es daher sein, dem Antragsteller mehr zu gewähren, als ihm nach materiellem Recht zusteht5. Hierfür lässt sich zudem der Restitutionsgedanke anführen, der § 44 SGB X allgemein zugrunde liegt6. Nicht zuletzt verfolgt diesen Zweck auch die Regelung des § 48 Abs 3 SGB X, die verhindern soll, dass die zu hohe Leistung, die durch einen Fehler entstanden ist, durch eine Veränderung zugunsten des Betroffenen immer noch höher wird; dh materielles Unrecht soll nicht weiter wachsen7.

Bundessozialgericht, Urteil vom 24. April 2014 – B 13 R 3/13 R

  1. vgl BSGE 55, 87, 88, SozR 1300 § 44 Nr 4; BSG SozR 1300 § 44 Nr 38 S 107[]
  2. zum Verhältnis von § 44 Abs 1 zu Abs 2 SGB X, vgl BSGE 61, 184, SozR 1300 § 44 Nr 26 mwN[]
  3. vgl Steinwedel, DAngVers 1989, 372, 373 f[]
  4. vgl BT-Drs. 8/4022 S 82[]
  5. so BSG SozR 1300 § 44 Nr 38 S 108; vgl Steinwedel in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand September 2013, § 44 SGB X RdNr 40 ff; ders in DAngVers 1989, 372, 374[]
  6. vgl BSGE 62, 143, 146, SozR 5750 Art 2 § 28 Nr 5 S 13[]
  7. vgl BSG SozR 1300 § 44 Nr 38 S 108 unter Hinweis auf BSGE 63, 259, SozR 1300 § 48 Nr 49 und SozR 1300 § 48 Nr 51; vgl auch BSGE 104, 213, SozR 4-1300 § 44 Nr 20, RdNr 15[]