Selbständige in der Krankenversicherung – und das Überbrückungsgeld

Bei Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit gewährtes Überbrückungsgeld ist für die Bemessung der Beiträge freiwillig Krankenversicherter den jeweiligen Bewilligungsmonaten zuzuordnen und nicht zusammen mit dem erzielten Arbeitseinkommen monatlich mit jeweils einem Zwölftel des Jahresbetrags zu berücksichtigen.

Insbesondere durften die Beiträge zur freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sowie diejenigen zur sozialen Pflegeversicherung (sPV) unter Zuordnung des Überbrückungsgeldes (Übbg) zu den jeweiligen Bewilligungsmonaten festgesetzt werden. Grundlage für die Einbeziehung des Übbg im Jahr 2006 war noch § 240 SGB V iVm der Satzung der Krankenkasse, für die sPV iVm § 57 Abs 4 S 1 SGB XI. In § 7 Abs 3 Nr 1 Buchst a der Satzung der Krankenkasse wurden die gesetzlichen Vorgaben für die Beitragsbemessung beanstandungsfrei umgesetzt. Auch das Übbg durfte für die Beitragsbemessung herangezogen werden; denn es sollte nach den Gesetzesmaterialien Existenzgründern durch Zahlung eines regelmäßigen Zuschusses für die Dauer von sechs Monaten gerade die Sicherung des Lebensunterhalts ermöglichen. Insoweit privilegierende Regelungen sah das Gesetz in der hier streitigen Zeit nicht vor. Entgegen der Ansicht des Selbständigen besteht keine rechtliche Handhabe, die Gesamtsumme des im Jahr 2006 gezahlten Übbg mit monatlich nur je 1/12 der Beitragsbemessung zugrunde zu legen. Zutreffend ist vielmehr die volle Berücksichtigung dieser Leistungen für die Monate, für die es dem Selbständigen zustand und gezahlt wurde. Das folgt aus § 22 Abs 1 S 1 SGB IV, wonach Beitragsansprüche entstehen, sobald ihre im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Da Übbg gemäß § 337 Abs 2 SGB III monatlich wiederkehrend jeweils nachträglich für eine Dauer von sechs Monaten gewährt wird ‑ was die Bundesagentur für Arbeit auch in ihrem Bewilligungsbescheid so geregelt hatte –, war ein insoweit fälliger Leistungsanspruch entstanden (vgl §§ 40, 41 SGB I) und zeitgleich auch ein entsprechender Beitragsanspruch. Aus Satzungsregelungen der Krankenkasse über die Zwölftelung der voraussichtlichen Jahreseinnahmen folgt nichts anderes, weil sich dies nur auf Einkommensarten beziehen kann, die auf Jahresbasis ermittelt werden. Dass das Übbg der Sicherung des Lebensunterhalts in der Existenzgründungsphase dienen soll, bewirkt keine Gleichsetzung mit Arbeitseinkommenim Sinne von § 15 SGB IV1. ‑ Die Krankenkasse musste dagegen das vom Selbständigen im Jahr 2006 erzielte Arbeitseinkommen bzw seine Kapitaleinkünfte nicht monatsbezogen berücksichtigen. Vielmehr ist bei diesen Einnahmen ‑ entsprechend ihrer Ermittlung im Einkommensteuerrecht ‑ eine jahresweise Betrachtung angezeigt und dann eine Zwölftelung hinsichtlich der monatlichen Einnahmen vorzunehmen2. Verfassungsrecht wird durch die unterschiedliche beitragsrechtliche Behandlung der jeweiligen Einnahmen nicht verletzt, weil der Gesetzgeber insoweit einen weiten Gestaltungsspielraum besitzt.

Grundlage für die Berücksichtigung des Übbg bei der Beitragsbemessung im Jahr 2006 war noch § 240 Abs 1 S 1 SGB V in der bis 31.12.2008 anwendbaren Fassung des Gesundheits-Reformgesetzes3 iVm der Satzung der Krankenkasse (Stand: 1.01.2006). Diese enthält revisibles Rechtim Sinne von § 162 SGG, weil ihr Geltungsbereich (hierzu § 1 Abs 2 der Satzung) sich über den Bezirk des Berufungsgerichts hinaus erstreckt4.

In § 7 Abs 3 Nr 1 Buchst a der Satzung wurde die gesetzliche Vorgabe, wonach für die Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder deren gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen ist (§ 240 Abs 1 S 2 SGB V), übernommen. Auf dieser Grundlage durfte die Krankenkasse neben den Einkünften des Selbständigen aus selbstständiger Tätigkeit und aus Kapitalvermögen (hierzu vgl BSGE 97, 41, SozR 4-2500 § 240 Nr 8, RdNr 12; BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 40 S 201 f) auch das Übbg für die Beitragsbemessung heranziehen. So sind auch Sozialleistungen zu berücksichtigen, wenn diese Einnahmen zum Lebensunterhalt verbraucht werden können5. Zu diesen bemessungsrelevanten Sozialleistungen gehört auch das dem Selbständigen gemäß § 57 SGB III6 gewährte Übbg. Denn das Übbg sollte Existenzgründern durch Zahlung eines regelmäßigen Zuschusses für die Dauer von sechs Monaten gerade die Sicherung des Lebensunterhalts ermöglichen7. Von der Beitragsbemessung ausgenommen war im streitigen Zeitraum nur ein – hier nicht gewährter – Existenzgründungszuschuss nach § 421l SGB III (§ 240 Abs 2 S 2 SGB V idF des GMG vom 14.11.2003, BGBl I 2190), nicht aber das Übbg. Dieses war auch in voller Höhe zur Beitragsbemessung heranzuziehen. Eine Privilegierung des zur sozialen Sicherung vorgesehenen Anteils der Leistungen an Existenzgründer sah § 240 Abs 2 S 2 SGB V8 erst seit Einführung des Gründungszuschusses (inzwischen geregelt in § 94 SGB III) zum 1.08.2006 vor.

Das gewährte Übbg ist für die Beitragsfestsetzung den Monaten zuzuordnen, für die es dem Versicherten zustand.

Beitragsansprüche entstehen gemäß § 22 Abs 1 S 1 SGB IV, sobald ihre im Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen. Beitragsansprüche auf Sozialleistungen entstehen deshalb grundsätzlich in dem Moment, in dem der Anspruch des Leistungsempfängers hierauf entstanden ist9.

Das dem Selbständigen gewährte Übbg ist – anders als von ihm vertreten – kein Arbeitseinkommenim Sinne von § 15 SGB IV, wie das BSG zur Befreiung von der Versicherungspflicht in der Alterssicherung der Landwirte bereits entschieden hat10. Vielmehr handelt es sich um eine Erwerbsersatzeinkommen vergleichbare Sozialleistung der Bundesagentur für Arbeit. Anders als Arbeitseinkommen beruht es nicht auf der selbstständigen Tätigkeit, sondern gleicht gerade die ungenügenden Erträge einer solchen Tätigkeit aus11. Dem schließt sich das Bundessozialgericht auch für die hier streitige Frage der Beitragsbemessung an.

Der Anspruch des Selbständigen auf die Sozialleistung Übbg entstandim Sinne des § 40 SGB I monatlich und war nach § 41 SGB I mit seinem Entstehen fällig. Denn das Übbg wurde gemäß § 57 Abs 3 S 1 SGB III aF für eine Dauer von sechs Monaten geleistet und als laufende Geldleistung nach § 337 Abs 2 SGB III monatlich nachträglich ausgezahlt. Dies entspricht auch dem Inhalt des Bewilligungsbescheides der Bundesagentur für Arbeit. Dementsprechend entstand auch der Beitragsanspruch aus dem Übbg monatlich im selben Zeitpunkt wie der Leistungsanspruch.

Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Gebot des § 240 Abs 1 S 2 SGB V, wonach die Beitragsbelastung die gesamte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds zu berücksichtigen hat. Dieses Gebot betrifft – wie aus dem Zusammenhang mit § 240 Abs 2 SGB V folgt – in erster Linie die Frage, welche Einnahmen bei der Beitragsbemessung (überhaupt) zu berücksichtigen sind, weil sie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des freiwilligen Mitglieds (mit-)bestimmen12. Eine Aussage im Sinne der Auffassung des Selbständigen, dass bei der Beitragsbemessung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit eine Betrachtung aller Einnahmen auf Jahresbasis zu erfolgen habe, ist dieser Regelung hingegen nicht zu entnehmen.

Der Zuordnung des Übbg zu den Monaten, für die es dem Selbständigen zustand, steht auch § 7 Abs 3 Nr 1 Buchst a Unterabs 2 S 1 der Satzung der Krankenkasse nicht entgegen, worin es heißt, „Die voraussichtlichen Jahreseinnahmen sind zu zwölfteln“. Diese Bestimmung kann sich von vornherein nur auf Einkommensarten beziehen, die auf Jahresbasis ermittelt werden, also zB die Einnahmen des Selbständigen aus selbstständiger Tätigkeit oder aus Kapitalvermögen. Wäre diese Bestimmung – wie der Selbständige meint – darüber hinausgehend auf alle Einkunftsarten bezogen, widerspräche sie den vorstehend dargestellten höherrangigen gesetzlichen Regelungen und wäre insoweit unwirksam. Unabhängig davon führt indessen auch eine systematische Auslegung der Satzung zu dem Ergebnis, dass durch § 7 Abs 3 Nr 1 Buchst a Unterabs 2 S 1 nicht die Bemessung der monatlichen Beiträge nach einem Zwölftel aller in einem Jahr erzielten Einnahmen angeordnet wird. So lautet § 7 Abs 3 Nr 1 Buchst a Unterabs 3 S 1: „Einmalige Leistungen, die im Laufe eines Jahres voraussichtlich bezogen werden und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Mitglieds bestimmen, werden ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt des Zuflusses monatlich mit einem Zwölftel berücksichtigt“. Dieser Regelung bedürfte es nicht, wenn ohnehin sämtliche Einnahmen innerhalb eines Jahres unterschiedslos zu zwölfteln wären.

Das vom Selbständigen im Jahr 2006 erzielte Arbeitseinkommen bzw seine Kapitaleinkünfte musste die Krankenkasse dagegen nicht monatsbezogen berücksichtigen. Vielmehr sind diese Einnahmen – entsprechend ihrer Ermittlung im Einkommensteuerrecht – auf Jahresbasis zu ermitteln und für die Festsetzung der monatlichen Beiträge mit jeweils einem Zwölftel zu berücksichtigen.

Die jahresweise Betrachtung folgt für das Arbeitseinkommen schon aus § 15 Abs 1 S 1 SGB IV, wonach das Arbeitseinkommen dem nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelten Gewinn entspricht. Der Gewinn ist der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, vermehrt um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen (§ 4 Abs 1 S 1 Einkommensteuergesetz (EStG)), wobei das Wirtschaftsjahr bei Gewerbetreibenden regelmäßig dem Kalenderjahr entspricht (§ 4a Abs 1 S 2 EStG). Die Maßgeblichkeit des nach den allgemeinen Gewinnermittlungsvorschriften des Einkommensteuerrechts ermittelten Gewinns aus einer selbstständigen Tätigkeit für die Ermittlung der beitragsrelevanten Einnahmenim Sinne des § 240 SGB V entspricht der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts13. Zugleich spricht der vom Bundessozialgericht in diesem Zusammenhang ebenfalls betonte Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität14, dafür – vielfach jährlich anfallende – Kapitaleinkünfte ebenfalls auf Jahresbasis zu berücksichtigen. Abweichend vom Arbeitseinkommen15 und von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung16 kann jedoch der Nachweis über die Höhe der beitragspflichtigen Kapitaleinkünfte nicht (ausschließlich) durch den Einkommensteuerbescheid geführt werden. So hat das Bundessozialgericht bereits entschieden, dass der Sparer-Freibetragim Sinne des § 20 Abs 4 EStG bei der Beitragsbemessung freiwillig in der GKV Versicherter nicht zu berücksichtigen ist17. Zudem werden seit 2009 pauschal versteuerte Kapitalerträge (§§ 43 ff EStG) im Einkommensteuerbescheid nicht notwendig ausgewiesen.

Verfassungsrecht wird durch die unterschiedliche beitragsrechtliche Behandlung der jeweiligen Einnahmen nicht verletzt. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen Art 3 Abs 1 GG vor. Selbst wenn man in der unterschiedlichen Ermittlung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeitim Sinne des § 240 Abs 1 S 2 SGB V bei Selbstständigen mit Übbg-Bezug im Vergleich zu Selbstständigen, die nur Arbeitseinkommen aus ihrer selbstständigen Tätigkeit erzielen, eine Ungleichbehandlungim Sinne des Art 3 Abs 1 GG erblicken wollte, wäre diese durch die vorstehend aufgezeigten Unterschiede beider Einnahmearten sachlich gerechtfertigt.

Für die Festsetzung der Beiträge des Selbständigen zur sPV durch die Pflegekasse gelten die vorstehenden Erwägungen entsprechend, da nach § 57 Abs 4 S 1 SGB XI für die Beitragsbemessung freiwilliger Mitglieder der GKV § 240 SGB V entsprechend anzuwenden ist. Gleichzeitig verweist § 8 Abs 1 S 2 der Satzung der Pflegekasse für die Bemessung der Beiträge dieses Personenkreises zur sPV auf § 7 der Satzung der Krankenkasse

Bundessozialgericht, Urteil vom 7. Mai 2014 – B 12 KR 2/12 R

  1. vgl bereits BSG SozR 4-5868 § 3 Nr 2[]
  2. vgl zuletzt auch BSG, Urteil vom 30.10.2013 ‑ B 12 KR 21/11 R[]
  3. vom 20.12.1988, BGBl I 2477[]
  4. vgl allgemein BSG SozR 4-2500 § 240 Nr 14 RdNr 17[]
  5. vgl schon BSGE 87, 228, 233 ff, SozR 3-2500 § 240 Nr 34 S 160 ff[]
  6. idF des 5. SGB III-ÄndG vom 22.12.2005, BGBl I 3676, im Folgenden § 57 SGB III aF[]
  7. vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum Arbeitsförderungs-Reformgesetz, BT-Drs. 13/4941 S 163 f zu § 57 des Entwurfs; Gesetzentwurf der Fraktionen SPD, CDU/CSU und Bündnis 90/Die Grünen zum GKV-Modernisierungsgesetz (GMG), BT-Drs. 15/1525 S 139 zu Nr 144 (§ 240) Buchst a Doppelbuchst aa des Entwurfs[]
  8. idF des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.07.2006, BGBl I 1706[]
  9. zu Beitragsansprüchen aus Versorgungsbezügen vgl BSG Urteil vom 12.12.1995 – 8 RKn 9/94 – Die Beiträge 1996, 378, 380[]
  10. BSG (10. Bundessozialgericht) SozR 4-5868 § 3 Nr 2[]
  11. BSG, aaO, RdNr 14[]
  12. vgl Bernsdorff in jurisPK-SGB V, 2. Aufl 2012, § 240 RdNr 14[]
  13. vgl BSGE 79, 133, 138 ff, SozR 3-2500 § 240 Nr 27 S 102 ff; BSGE 104, 153, SozR 4-2500 § 240 Nr 12, RdNr 15 ff mit näherer Begründung; BSG Urteil vom 30.10.2013 – B 12 KR 21/11 R – zur Veröffentlichung in SozR 4-2500 § 240 Nr 19 vorgesehen[]
  14. vgl BSG, aaO[]
  15. BSGE 104, 153, SozR 4-2500 § 240 Nr 12[]
  16. BSG Urteil vom 30.10.2013, aaO[]
  17. BSGE 97, 41, SozR 4-2500 § 240 Nr 8, RdNr 19-20[]