Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren

Richten sich Verfassungsbeschwerden gegen Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutzverfahren, gebietet der Grundsatz der materiellen Subsidiarität regelmäßig die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache, wenn Grundrechtsverletzungen gerügt werden, die sich auf die Hauptsache beziehen1.

Verzichtbar ist dies nur, wenn eine Rechtsverletzung geltend gemacht wird, die das Fachgericht gerade durch die Art und Weise der Bearbeitung des Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes verursacht hat. Das kann der Fall sein, wenn die sich aus Art.19 Abs. 4 Satz 1 GG beziehungsweise Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art.20 Abs. 3 GG ergebenden verfassungsrechtlichen Anforderungen an die vorläufige Rechtsschutzgewährung verkannt worden sind2 oder der Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt wurde3. Hier rügt der Beschwerdeführer zwar eine Verletzung rechtlichen Gehörs. Doch fehlen Anhaltspunkte dafür, dass ein fachgerichtliches Anhörungsrügeverfahren durchgeführt worden ist. Im Übrigen wird auch eine Grundrechtsverletzung nicht hinreichend dargelegt. Vielmehr rügt die Verfassungsbeschwerde im Wesentlichen eine auf die Hauptsache bezogene Verletzung des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art.20 Abs. 1 GG durch die Auslegung von § 1a Abs. 3 Satz 1 Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) in Verbindung mit § 1a Abs. 1 AsylbLG durch das Landessozialgericht. Das aber ist Gegenstand der Hauptsache.

So auch in dem hier vom Bundesverfassungsgericht entschiedenen Fall: 

Der Beschwerdeführer hat auch nicht hinreichend dargelegt, dass die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache unzumutbar wäre4. Ein Rechtsbehelf in der Hauptsache erscheint nicht von vornherein aussichtslos. Denn das Landessozialgericht hat höhere Leistungen nicht von vornherein ausgeschlossen; das Sozialgericht hat dem Beschwerdeführer in einem anderen sozialgerichtlichen Eilrechtsschutzverfahren mitgeteilt, dass es sich dieser Auffassung anschließen wolle.

Nach dem Vortrag des Beschwerdeführers liegen auch die Voraussetzungen, unter denen nach § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG ausnahmsweise vom Erfordernis der Rechtswegerschöpfung abgesehen werden kann5, nicht auf der Hand. Auch hier ist das Bundesverfassungsgericht auf die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch die sachnäheren Fachgerichte angewiesen6. Zudem sind keine konkreten Anhaltspunkte dafür mitgeteilt, dass durch eine spätere Entscheidung dem Beschwerdeführenden nicht mehr korrigierbare, irreparable Schäden drohen7.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 21. Juli 2022 – 1 BvR 1147/22

  1. vgl. BVerfGE 77, 381 <401> 79, 275 <278 f.> 86, 15 <22 f.> stRspr[]
  2. vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.09.2014 – 1 BvR 23/14, Rn. 23[]
  3. vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.03.2019 – 1 BvR 2721/16, Rn. 16 f.[]
  4. vgl. dazu BVerfGE 77, 381 <401 f.> 78, 290 <301 f.> 79, 275 <278 f.> 104, 65 <70 f.>[]
  5. vgl. BVerfGE 77, 381 <401 f.> 78, 290 <301 f.> 79, 275 <278 f.> 104, 65 <70 f.>[]
  6. vgl. BVerfGE 79, 1 <20> 86, 382 <386 f.> 114, 258 <279> dazu auch BVerfG, Beschluss vom 15.07.2020 – 1 BvR 1630/20, Rn. 14[]
  7. vgl. für den Fall von Grundleistungen der sozialen Sicherung BVerfG, Beschluss vom 19.09.2017 – 1 BvR 1719/17, Rn. 8[]